Danksagung vom Gefangenen nach Freilassung

Aktualisiert am 27. Januar 2023 von Ömer Bekar

Danksagung vom Gefangenen nach FreilassungKann man als ehemaliger Häftling dankbar sein, eine gewisse Zeit hinter Gittern verbracht zu haben? In den meisten Fällen wohl nicht. Deswegen sollte die unten stehende Danksagung auch als satirischer Beitrag verstanden werden. Das Thema ist vielleicht ein wenig heikel, soll andererseits aber auch provozieren und polarisieren. Wenn dadurch Debatten angestoßen werden, ist das nicht verkehrt. Die Worte des Danks, die ein ehemaliger Gefangener an die Haftanstalt richten würde, können nur ironisch gemeint sein – oder?

Aber für was sollte sich ein Insasse auch bedanken? Für den immer gleichen Tagesablauf, den es über die gesamte Zeit der Haft gibt? Dafür, dass am Abend bald Zapfenstreich ist und das Licht ausgeht? Dafür, dass die Gefangenen in einer Einrichtung des Gefängnisses arbeiten „dürfen“, wo sie höchstens ein paar Euro am Tag verdienen?

Danksagung Gefangener

Es geht in diesem Beispieltext nicht darum, dass womöglich eine Straftat verharmlost werden soll, vielmehr soll es um die Bedingungen gehen, die in deutschen Haftanstalten mitunter herrschen. Und im Idealfall regt der Text ja auch zu Diskussionen an.

►Danksagung vom Gefangenen nach Freilassung

Liebes Gefängnis,

heute, am Tage meiner Freilassung, möchte ich dir herzlich danke sagen für all die letzten Jahre, die ich in dir verbringen durfte. Es gibt ehemalige Inhaftierte, von denen ich gelesen habe, dass das Gefängnis ihr Leben gerettet hat. So weit würde ich definitiv nicht gehen. Ich bin froh, dass ich dich überlebt habe.

Ich möchte dir, liebes Gefängnis, danke sagen für all die monotonen Tage mit dem gleichen Ablauf. Ich möchte danke sagen für das frühe Wecken zur Unzeit und das abendliche Abstellen des Lichts, wenn man vielleicht noch ein wenig Ablenkung für das Hirn braucht, indem man ein Buch liest. Denn deine Monotonie, lieber Knast, führt nicht gerade dazu, dass man sich gut fühlt. Danke für all die grauen Tage, an denen sich der Kopf wie Matsch angefühlt hat.

Ich möchte, liebes Gefängnis, gar nicht drum herum reden: Verurteilt worden bin ich zu Recht. Aber dass ich zeitweise den Lebens- und Überlebenswillen abgestreift habe, das, liebes Gefängnis, habe ich einzig und allein dir zu verdanken. Wer wegen einer Straftat einsitzt, erreicht eines, das habe ich gelernt – nämlich über die nächste Straftat namens Ausbruch zumindest nachzudenken. Denn wenigstens die Gedanken sind frei, der Mensch, liebes Gefängnis, aus Fleisch und Blut verdorrt hinter deinen Schlössern und Riegeln. Das hat der fürsorgende Staat schon bestens eingerichtet.

Danke natürlich auch, liebes Gefängnis, dass du mir die Möglichkeit gegeben hast, einen Job zu machen, den ich nicht machen wollte, für ein paar Euro am Tag. Das hat sich richtig toll angefühlt. Fast so, als ob man von der Gesellschaft gebraucht werden würde. Ach nein, halt, man hat die Gesellschaft ja vor mir geschützt, jedenfalls ist das ja der tiefere Sinn einer Strafe, die man im Gefängnis verbringt. Danke für die Gelegenheit, über die ganze Zeit hinweg meine Runden in deinem Hof drehen zu dürfen, liebes Gefängnis, es war auch auf Dauer so langweilig wie sonst nur irgendwas.

Vielen Dank auch, liebes Gefängnis, für die Möglichkeit, dass ich wenigstens hin und wieder einmal ein anderes Gesicht sehen durfte. Denn die Regelung, dass man als Insasse einmal pro Woche auch Besuch empfangen darf, macht natürlich alles viel besser. Dass der Besuch nach einer kurzen Zeit wieder gehen muss, ist ja klar. Sonst könnte der Besuch ja noch drauf kommen, dass er lieber gern im Knast bleiben würde, als wieder hinaus in die Freiheit zu gehen. Denn, liebes Gefängnis, es ist schließlich alles Gold, was hier glänzt.

Danke auch, liebes Gefängnis, dass du einen ehemaligen Insassen so gar nicht auf die Welt da draußen vorbereitest, in die er zurückkehrt. Die Welt da draußen nämlich hat sich in all der Zeit weitergedreht, während drin, hinter den Mauern und dem Stacheldraht, die Zeit für uns Insassen stillzustehen scheint. Ich weiß nicht, was mich draußen erwartet, es ist gut möglich, dass ich von der Umwelt überfordert bin, weil niemand vorher sagt, was auf mich zukommen wird. Die einzige Möglichkeit, die mir das System einräumt, ist es, einen verständnisvollen Bewährungshelfer zu haben, der mir sagt, wie die Dinge inzwischen laufen. Denn, liebes Gefängnis, die Regeln drin sind völlig klar und starr. Aber warum habe ich nichts darüber erfahren, wie die Regeln draußen sind und wie man sich an sie hält?

Ich kenne die genauen Zahlen nicht, aber es heißt ja, dass viele ehemalige Häftlinge irgendwann einmal zurückkehren in den Knast. Ich möchte da beileibe nicht dazu gehören, unter keinen Umständen – aber tust du, liebes Gefängnis, auch genug dafür, dass die Menschen (ja, auch Häftlinge sind Menschen) ausreichend gerüstet sind, um draußen klarzukommen und keinen Rückfall zu erleiden? Ich habe zwar keine Vergleichswerte, aber ich bin mir einfach nicht so sicher, ob hier nicht doch mehr getan werden müsste. Dies, liebes Gefängnis, ist ein Denkanstoß. Und wie ich schon geschrieben habe: Es geht mir nicht darum, mich als unschuldig hinstellen zu wollen. Ich wurde zu und mit Recht verurteilt. Es geht mir nur darum, einige Dinge loszuwerden, die ein Gefängnis menschenwürdiger machen. Und Dinge aufzuzeigen, die uns Insassen auf die Zeit danach vorbereiten.

Liebes Gefängnis – ich hoffe, wir sehen uns nie mehr wieder. Und ich hoffe, dass sich in Zukunft einiges ändern wird.

Danke, liebes Gefängnis. Dein Fan [Name]